Mut zum Aufbruch

Die XI. Rosa-Luxemburg-Konferenz beschäftigt sich mit sozialistischen Alternativen

Arnold Schölzel

Am 9. Januar trug der Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank Josef Ackermann vor der Industrie- und Handelskammer Hannover »Gedanken zur wirtschaftspolitischen Lage Europas« unter dem Titel »Mut zum Aufbruch« vor. Er begann mit einer, wie er sagte, »gebräuchlichen Schlagzeile«, nämlich »Ist Europa noch zu retten?«, und zählte neben allerlei aus seiner Sicht Positivem, wie z. B. der Bezeichnung Europas durch den US-Amerikaner Jeremy Rifkin als »leiser Supermacht«, auf: »Politisch sind wir gegenwärtig in die Sackgasse geraten. In Frankreich und den Niederlanden haben die Bürger den europäischen Verfassungsentwurf abgelehnt (...) Wirtschaftlich macht sich ebenfalls Ernüchterung breit. Von ihrem Ziel, die dynamischste Region der Welt zu werden, ist die Union weit entfernt.«

Das ist eine verhältnismäßig klare Bestandsaufnahme. Ebenso deutlich sind die Schlußfolgerungen. Hier sei nur eine zitiert: »Während die USA 15 Prozent ihrer öffentlichen Ausgaben für Sozialleistungen aufwenden, sind es im Durchschnitt der EU 27 Prozent. Diese Relation sollte uns zu denken geben (...) Hier brauchen wir dringend eine Kehrtwende.« Auch diese Sätze erfassen die Realität adäquat. Allerdings soll aus der Sicht großer Teile der Bevölkerung in EU-Europa diese Kehrtwende offenbar in eine andere Richtung gehen als die, die Ackermann meint.

Ihm und seinen Kollegen in den Vorstandsetagen von Industrie und Finanz, in Regierung und Wirtschaftsverbänden reicht es nicht. Das Ziel, das Ackermann der Deutschen Bank gestellt hatte, im Jahr 2005 25 Prozent Rendite auf das Stammkapital zu erreichen, ist wahrscheinlich übertroffen worden. Die deutsche Wirtschaftspresse feiert historische Rekordgewinne in den Unternehmen ab. Für 2006 wurde schon verkündet, daß man die im letzten Jahr wiederum errungene Exportweltmeisterschaft ziemlich locker erneut erreichen werde. Dennoch lautet die Note: ungenügend.

Denn Ackermann & Co. fehlt die richtige Dynamik. Um sie herbeizuführen, preist er ein seit Jahrzehnten ebenso erfolgloses wie hartnäckig weiter angebotenes Allheilmittel an: Unten nehmen, oben drauflegen. Die damit verbundene Politik hat im vergangenen Jahr zwei schwere Niederlagen erlitten. Die Ablehnung des Verfassungsvertrages war die eine, eine andere die Weigerung der deutschen Wähler, einer neoliberalen »Durchregierungs«-Koalition ins Amt zu verhelfen. Allein das Votum der Wähler und die Existenz einer linken Fraktion im Bundestag, die nicht zuletzt aus den müde belächelten außerparlamentarischen Aktionen gegen den Sozialabbau durch die Schröder-Regierung hervorging, reichten aus, um die nun regierende große Koalition zu zwingen, Kreide zu fressen und höchstens Trippelschritte zu versuchen.

2005 zeigten sich die Grenzen des seit 1990 wieder entfesselten globalen Kapitalismus weltweit. George W. Bush sitzt mit seinen Truppen im Irak in einem Sumpf, die militärische Überlegenheit der USA kann nicht ausgespielt werden. Lateinamerika verabschiedet neoliberale Regierungen Land für Land. Selbst in Europa - siehe Josef Ackermann.

jW ist der Meinung, daß es höchste Zeit ist, nicht nur über Alternativen zum Neoliberalismus, sondern über den Sozialismus zu diskutieren. Die XI. Rosa-Luxemburg-Konferenz wird dazu, wie wir hoffen, einen inhaltsreichen Jahresauftakt liefern. Die Beiträge dieser Sonderbeilage sollen an den Anlaß für dieses linke Wochenende in Berlin erinnern und Mut machen zum nötigen Aufbruch. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Text- und Bildmaterial sind nur für die persönliche Information bestimmt. Jede weitergehende Verwendung, insbesondere die Speicherung in Datenbanken, Veröffentlichung, Vervielfältigung und jede Form von gewerblicher Nutzung sowie die Weitergabe an Dritte - auch in Teilen oder in überarbeiteter Form - ohne schriftliche Zustimmung der Tageszeitung junge Welt/Verlag 8. Mai GmbH sind untersagt.

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