Die letzten vier

Zum Umgang der Strafverfolgungsbehörden der BRD mit den Gefangenen aus der RAF

Peter Rau

Seit es die Rosa-Luxemburg-Konferenzen gibt, wurde immer wieder auch die Lage politischer Gefangener thematisiert. Prägnantestes Beispiel dafür ist der US-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal. Doch auch hierzulande ist das Thema von drängender Aktualität. Das haben Bundesanwaltschaft (BAW) und Bundeskriminalamt (BKA) - unfreiwillig und vermutlich schon gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt - erst im vergangenen Monat wieder unter Beweis gestellt. Die Rede ist von den letzten, zum Teil seit mehr als zwei Jahrzehnten in staatlichem Gewahrsam sitzenden Gefangenen aus der RAF, der 1970 entstandenen Roten Armee Fraktion. Deren Mitglieder kamen, wie es in der Sonderausgabe der Roten Hilfe zum Tag der politischen Gefangenen am 18. März 2005 formuliert wurde, »aus den weltweiten Aufbrüchen der 60er Jahre und agierten für eine klassenlose und befreite Gesellschaft«. Seit dieser Kampfansage an das imperialistische System, die ebenso der Verharmlosung der Nazidiktatur wie der US-Aggression gegen Vietnam, später der Hochrüstungspolitik der NATO und zuletzt der Einverleibung der DDR galt und auf beiden Seiten bis in die 90er Jahre hinein auch tödliche Spuren hinterließ, galt die RAF als Staatsfeind Nummer eins und wurde entsprechend verfolgt. Da genügte oftmals schon ein Verdacht, um Menschen auf Jahre und Jahrzehnte wegzusperren. Die im April 1998 offiziell erklärte und ebenso offiziell als authentisch anerkannte Selbstauflösung der RAF änderte an der staatlichen Verfolgungswut nichts, wenngleich seither sechs der damals noch zehn Gefangenen entlassen worden sind, zuletzt Rolf-Clemens Wagner nach 24 Jahren.


Kein Schlußstrich

Für den Staat, seine Justiz und deren Zuarbeiter scheint das Kapitel RAF dennoch nicht abgeschlossen zu sein. Dafür stehen nicht zuletzt die verbliebenen vier Gefangenen: Die heute 56jährige Brigitte Mohnhaupt, bereits zwischen 1972 und 1977 inhaftiert, verbüßt seit 1982 eine lebenslange Freiheitsstrafe, deren Mindestdauer laut BAW 24 Jahre betragen soll. Ein Entlassungsgesuch liegt seit dem Frühjahr 2005 beim zuständigen Oberlandesgericht Stuttgart. Ebenfalls seit 1982 in Haft ist Christian Klar. Ein vom inzwischen verstorbenen Publizisten und langjährigen Diplomaten Günter Gaus unterstütztes Gnadengesuch wurde von Bundespräsident Johannes Rau nicht entschieden und liegt nun beim derzeitigen Amtsinhaber Horst Köhler. Die Mindesthaftzeit des heute 54jährigen wurde 1997 vom OLG Stuttgart gemäß Antrag der BAW auf 26 Jahre festgelegt. Eva Haule, 51, wurde 1986 zunächst zu 15 Jahren und in einem späteren zweiten Prozeß zu lebenslänglicher Haft - Mindesthaftzeit 21 Jahre - verurteilt. Ihr Antrag auf Entlassung datiert vom Juni 2005.

Komplettiert wird das Quartett mit Birgit Hogefeld. Die 1957 Geborene wurde im Juni 1993 in Bad Kleinen festgenommen und ebenso wie die anderen drei aufgrund von Indizien bzw. Aussagen williger Kronzeugen zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Apropos Indizien: In allen vier Fällen galt lediglich die Mitgliedschaft in der RAF als erwiesen; Christian Klar wurden darüber hinaus zum Beispiel pauschal alle Aktionen der Jahre 1977 bis 1981, Eva Haule und Birgit Hogefeld die Teilnahme an Anschlägen in den Jahren 1984/85 bzw. 1988 zur Last gelegt, ohne das konkret beweisen zu können. Bei Haule etwa genügte den Richtern ein Brief, in dem sie in »Wir«-Form über eine Aktion gegen die Rhein-Main-Airbase der US-Army in Frankfurt/Main, bei der drei Menschen starben, geschrieben hatte ...


Letzte Waffe Beugehaft

Fragwürdig wie die Urteile sind auch die fixierten Mindesthaftzeiten, mit denen die »gewöhnlichen Kriminellen« zugebilligte Möglichkeit einer Strafaussetzung nach 15 Jahren Haft ausgeschlossen werden soll. (Womit sich die RAF-Urteile, trotz aller Kriminalisierungsversuche auch im nachhinein, eben doch als politische Urteile erweisen.)

Einzig Eva Haule ist bisher die in der Rechtsprechung eingeräumte Möglichkeit eines »offenen Vollzuges« gewährt worden. Während ein entsprechender Antrag von Christian Klar erst im vergangenen Jahr verworfen wurde - es sei »noch zu früh« für Vollzugslockerungen im Hinblick auf eine Entlassung, befand die baden-württembergische Justiz -, kann sie seit 2004 als »Freigängerin« in Berlin eine Fotoausbildung absolvieren. (Eine im Vorfeld dieser Ausbildung entstandene Serie »Porträts gefangener Frauen« ist im vergangenen Jahr als Buch erschienen.)

Diese Ausbildung steht allerdings auf der Kippe, seit Haule - ebenso wie Birgit Hogefeld - vor genau vier Wochen auf Betreiben von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt zu einer »Zeugenvernehmung« am Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu erscheinen hatte. Hintergrund dieser »Ladung« waren offenkundig die noch immer nicht aufgeklärten Anschläge aus den 80er und frühen 90er Jahren. Das ihnen laut Strafprozeßordnung zustehende Aussageverweigerungsrecht, von dem beide Gebrauch machten, wollten die Beamten dabei nicht gelten lassen: Auf Antrag der BAW verhängte der BGH-Ermittlungsrichter daraufhin jeweils sechs Monate Beugehaft plus 200 Euro »Ordnungsgeld«. Er setzte diese strafverschärfende Maßnahme jedoch in beiden Fällen außer Vollzug - bis zu einer Entscheidung über die prompt eingelegte Beschwerde der Anwälte von Haule und Hogefeld. Sollte die Beschwerde abgewiesen werden, würde das nicht nur eine Rückkehr zu erschwerten U-Haft-Bedingungen zur Folge haben, sondern für die 51jährige auch eine Unterbrechung der Ausbildung - und deren Verlängerung um ein ganzes Jahr. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Text- und Bildmaterial sind nur für die persönliche Information bestimmt. Jede weitergehende Verwendung, insbesondere die Speicherung in Datenbanken, Veröffentlichung, Vervielfältigung und jede Form von gewerblicher Nutzung sowie die Weitergabe an Dritte - auch in Teilen oder in überarbeiteter Form - ohne schriftliche Zustimmung der Tageszeitung junge Welt/Verlag 8. Mai GmbH sind untersagt.

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