Sozialistische Alternativen in den Amerikas
Jürgen Heiser ist jW-Autor und Übersetzer. Er präsentierte die Rede von Mumia Abu-Jamal
Sozialistische Alternativen in den Amerikas
Jürgen Heiser ist jW-Autor und Übersetzer. Er präsentierte die Rede von Mumia Abu-Jamal
Mumia Abu-Jamal
Leben in der Todeszelle – Mumia Abu-Jamal Der
damals bereits über seine Heimatstadt Philadelphia hinaus bekannte
Journalist Mumia Abu-Jamal wurde am 9. Dezember 1981 verhaftet, als er
seinem Bruder, der von einem Polizisten mißhandelt wurde, beistehen
Grüße an unsere Freunde auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin!
Bewegung – On a move!
Ich danke euch, daß ihr mir Gelegenheit gebt, heute bei euch zu sein.
Wenn
wir über die Aussichten des Sozialismus in der amerikanischen Region
nachdenken, dann gibt es sowohl positive als auch negative Tendenzen.
Die positiven lassen sich in den Begriffen Krieg und Ökonomie
zusammenfassen. Beide richten schwere Verwüstungen in den
afroamerikanischen Gemeinden der Arbeiterklasse an. In solchen Zeiten
sozialer und ökonomischer Krise halten die Menschen Ausschau nach
Alternativen zu den Kräften, die diese Probleme verursachen.
Krieg
und Ökonomie stehen jedoch auch für die negativen Tendenzen: In
Kriegszeiten werden reaktionäre und nationalistische Kräfte gestärkt,
und der Staat arbeitet mit dem Mittel der Angst und zwingt so bestimmte
Segmente der Bevölkerung, seine Hegemonie zu akzeptieren.
Angriff auf Arbeiterklasse
Das andere negative Element –
die Ökonomie – führt einen Angriff bislang ungekannten Ausmaßes gegen
die Armen, die Arbeiterklasse und sogar den Mittelstand. Vor kurzem hat
der vormals als Bell of Pennsylvania bekannte Telekommunikationskonzern
Verizon angekündigt, die Pensionen von 50 000 seiner Manager
einzufrieren. Der gigantische Automobilkonzern General Motors ließ
verlauten, er werde die Betriebsrenten von Tausenden seiner Arbeiter
kürzen.
In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fürchten sich
die Menschen davor, die Herrschenden herauszufordern. Unter schwarzen
Amerikanern ist das eigentliche Hindernis für eine sozialistische oder
auch nur antikapitalistische Organisierung im Bereich der Kultur zu
suchen. Beispielsweise hat die Massenpopularität des Gangsta-Rap
bewirkt, daß sich in unseren Gemeinden niedere soziale Instinkte
ausbreiten. Es wird populär, seinen Reichtum unter Einsatz aller Mittel
zu mehren, Frauenfeindlichkeit oder Frauenhaß greifen um sich, und das
Dealen mit Drogen wird zu einem akzeptablen Lebensstil erklärt.
Natürlich ist eine der Ursachen dafür die massenhafte Vernichtung von
Arbeitsplätzen im produzierenden Sektor der US-Wirtschaft. Eine andere
ist die kontinuierliche Klassenspaltung der Generation der
Bürgerrechtsbewegung und der Generation, die auf sie folgte. Was die
Ursache auch sein mag, das von der Rap-Musik propagierte
gesellschaftliche Bewußtsein war kaum je unterentwickelter.
Welle linker Politik
Aber wenn das schwarze Amerika
derzeit auch in einem Zustand der Lähmung verharren mag, so kann man
von den Völkern in América del Sur nicht das gleiche sagen.
Lateinamerika ist in Bewegung: Da ist Kubas kontinuierlicher Widerstand
gegen das US-Embargo und andere Formen der Sabotage durch Politik,
Ökonomie und Medien. Und da sind natürlich die Menschen in Venezuela,
die in Gang gesetzt haben, was sie nach dem Befreier Simon Bolivar ihre
»Bolivarianische Revolution« nennen. Und jüngst erst brachte die gegen
den Neoliberalismus gerichtete Bewegung in Bolivien Evo Morales in das
Präsidentenamt und machte ihn somit zum ersten indigenen Regierungschef
in der Geschichte dieser Republik.
Eine Welle aus linker
Politik, Antiimperialismus und Sozialismus überflutet also den
Kontinent. Das konnten wir sehr gut verfolgen, als George W. Bush seine
letzte Rundreise durch Lateinamerika unternahm und massenhafte
antiamerikanische Demonstrationen hervorrrief, wie es sie seit langer
Zeit nicht mehr gegeben hatte. Ich glaube, daß dies auch eine Folge des
Krieges und seiner unerwarteten Konsequenzen ist. Das neoliberale
Abenteuer in Irak hat Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen
verbittert, weil sie den nackten Eigennutz erkennen, der hinter der
Militäraktion am Golf steckt. Sie wissen, daß dieser ungezügelte
Nationalismus eine globale Bedrohung darstellt und setzen ihm Tag für
Tag stärkeren Widerstand entgegen. Sie wissen, daß Demokratie nur ein
Wort ist, ein Code, der dazu benutzt wird, andere Länder zu knacken und
ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen zu verschlingen. Irak
erteilt deshalb nicht weniger als Vietnam weltweit vielen Menschen
unter den Armen, den Angehörigen der Arbeiterklasse und sogar einigen
aus dem Mittelstand die Lektion, daß Imperien das Ende der Nation
bedeuten – sowohl der Nation, die überfallen wird, als auch der, die
den Überfall durchführt. Deshalb trägt imperiale Politik die
Möglichkeit in sich, daß Menschen im Widerstand gegen sie
Volksbewegungen aufbauen, die Volksmacht errichten und ein allgemeines
Bewußtsein erlangen, daß Menschen vor Profit gehen.
Ihr in
Europa erfahrt jetzt von der verhängnisvollen Ausbreitung geheimer
CIA-Gefängnisse in Osteuropa und Nordafrika. Hier in den Vereinigten
Staaten läßt die Regierung Telefone abhören, legt Geheimakten über
Oppositionelle an, und die Bürgerrechte sind durch sie so stark bedroht
wie seit dreißig Jahren nicht mehr.
Es ist Zeit für eine
sozialistische, eine humanistische, eine ökologische Alternative. Eure
Bestrebungen sind Teil der Welle, die kommen wird. Dafür danke ich
euch.
On a move – Bewegung!
From death row – hier spricht Mumia Abu-Jamal aus der Todeszelle.
(Aufgenommen am 2. Januar 2006 von Noelle Hanrahan, Prison Radio Project, San Francisco)