Aurélio Santos - Mitglied der Zentralen Kontrollkommission der Portugiesischen Kommunistischen Partei
Wir in Portugal glauben, daß die Welt eine
schwierige Zeit durchmacht. Es gibt bedeutende Veränderungen, bestimmte
Ziele und Kampfformen entsprechen nicht mehr dem gegenwärtigen
Kräfteverhältnis. Es sind noch keine neuen Ziele und Kampfformen
definiert worden, die es erlauben würden, den Weg der Geschichte wieder
aufzunehmen.
Subjektive Faktoren
Mit dem Verschwinden der
sozialistischen Länder in Osteuropa, dem Verschwinden der Sowjetunion,
hat der Kapitalismus wieder an Schwung gewonnen. Die Entwicklung der
Produktivkräfte und die Globalisierung der Wirtschaft haben Probleme
geschaffen und Situationen hervorgerufen, die neu sind für die
revolutionären Bewegungen und für den Kampf um den Sozialismus. Wir
glauben aber auch, daß es nicht nur objektive Faktoren sind, die diese
Situation hervorgerufen haben und die die Angelegenheit so schwierig
machen. Es gibt auch subjektive Faktoren, und einige sind sehr
dramatisch. Vor allem gibt es die Schwierigkeit, daß die Linkskräfte,
die revolutionären Kräfte bisher nicht in der Lage waren, diese
Situation zu analysieren und Antworten zu finden. Sie haben auch das
frühere Organisationsniveau nicht wieder erreicht. Wir glauben, eine
der Formen, den Kampf wieder aufzunehmen, besteht darin, daß wir
gemeinsam agieren und daß wir das soziale Bewußtsein der Menschen
wecken. Wir müssen wissen, wie die Leute denken. Wenn wir den
Sozialismus als Perspektive und Alternative für den Kapitalismus und
Imperialismus darstellen wollen, dann ist das sehr wichtig. Deshalb ist
es auch wichtig, daß solche Konferenzen wie diese hier stattfinden.
In
Portugal – und ich spreche natürlich von unseren Überlegungen, denen
der Portugiesischen Kommunistischen Partei – versuchen wir, die
Realität der Gesellschaft zu analysieren, zu sehen, welche Bedingungen
in unserem Land nach der Aprilrevolution 1974 entstanden sind, die als
Nelkenrevolution in Europa bekannt war.
Die Revolution hatte
bestimmte, sehr originäre Merkmale, die ich nennen möchte. Zunächst war
sie nicht einfach eine bürgerlich-demokratische Revolution. Es ging
zwar auch darum, die bürgerlichen Freiheiten wiederherzustellen, aber
in dem langen Kampf gegen den Faschismus setzte sich das portugiesische
Volk sehr für Freiheit und für soziale Rechte ein. Es ging um die
Anerkennung dieser sozialen Rechte. Sie standen im Prozeß der
Aprilrevolution an erster Stelle, sie waren ein Motiv für das
Eingreifen breiter Volksschichten in den Kampf. Natürlich hat sich
dieser Kampf auch deswegen so entwickelt, so meinen wir jedenfalls,
weil es in Portugal eine politische Kraft gab, die in der Lage war, den
politischen Willen zum Ausdruck zu bringen und diesen Willen auch zu
organisieren. (...)
Die Revolution veränderte die ökonomische
Basis, denn es gibt keine sozialen Rechte ohne eine ökonomische
Grundlage. Es entfaltete sich eine spontane Bewegung breiter Schichten
der Bevölkerung für die Agrarreform und die Nationalisierung der
wichtigsten Sektoren der kapitalistischen Produktion. Das war die
portugiesische Revolution.
Unvollendete Revolution
Dann kam die Konterrevolution.
Wir haben die Aprilrevolution als eine unvollendete Revolution
bezeichnet, aber alle Revolutionen wurden nicht vollendet, auch die
Französische Revolution hat hundert Jahre gedauert und blieb
unvollendet. Revolutionen sind Prozesse. Ihre Entwicklung kann
Jahrzehnte dauern, und wir glauben, daß die portugiesische Revolution
trotz der Konterrevolution, trotz der Schläge, die sie erlitten hat, in
der portugiesischen Realität verankert ist. Wir können den Kampf
weiterführen, um zum Sozialismus zu gelangen.
In unserem
Projekt sind Sozialismus und Demokratie untrennbar miteinander
verbunden. Wir sehen das als einen dialektischen Prozeß, als eine
Errungenschaft der Arbeitenden, der Volksschichten, und als einen
Kampf, der weitergeführt werden muß. Es geht um die Achtung der
politischen Rechte aller Schichten. (...) Als Weg zum Sozialismus
schlagen wir vor die Durchsetzung der Demokratie in jeder Spielart.
Demokratie ist nicht nur politische Demokratie, die für den Sozialismus
natürlich auch vertieft werden muß. Wir glauben, es gibt auch eine
soziale Demokratie, die die sozialen Rechte der Arbeitenden und der
Bevölkerung garantieren muß. Wir glauben auch, daß es eine
wirtschaftliche, eine ökonomische Demokratie geben muß, damit eine
soziale Kontrolle über die wichtigsten Bereiche der Produktion der
Wirtschaft im Interesse der Bürger und im nationalen Interesse ausgeübt
werden kann. (...) Unsere Gedanken entwickeln sich auf der Grundlage
von Prinzipien und auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus, den
unsere Partei immer als die wichtigste Anschauung der Gesellschaft und
der Welt verteidigt hat. Wir werden unseren Kampf um den Sozialismus
weiterführen, und wir werden unsere Prinzipien nicht etwa aufgeben, nur
weil das jetzt gerade Mode ist. Und wir werden auch nicht von unseren
Zielen abrücken, obwohl sie schwierig zu erreichen sind und zwar
schwieriger, als wir es und auch unsere Vorkämpfer es einmal gedacht
haben. Wir glauben, daß unsere Partei eine unerläßliche Kraft für die
Veränderung der politischen Situation in Portugal ist. Wir meinen auch,
daß die kommunistischen Parteien notwendig sind, unerläßlich sind in
jedem Land der Welt, um eine Wende, eine wirkliche Wende
herbeizuführen, um den Kapitalismus zu besiegen und den Weg zum
Sozialismus einzuschlagen. Ich denke, wir haben unsere Rolle, und wir
müssen sie spielen, wir müssen sie übernehmen, um die Gesellschaft
voranzubringen. (...)
Vielleicht haben wir einmal gedacht,
daß die Geschichte vorbestimmt ist. Vielleicht haben wir gedacht, der
Sozialismus weicht nicht mehr zurück – ich glaube, wir erklärten, der
Sozialismus sei unumkehrbar. Aber wir haben die Komplexität der
Veränderung der Gesellschaft nicht gesehen. Es gibt immer ein Auf und
Ab, es gibt ein Voran und ein Zurück. Gegenwärtig sind wir in der Phase
des Rückgangs, aber es wird wieder eine Phase des Vorangehens geben, so
wie Marx gesagt hat, daß die Geschichte allein nichts tut, sondern nur
die handelnden Menschen. Sie sind es, die die Gesellschaften verändern.
Ich denke, daß das Projekt des erneuerten Sozialismus auf Grund der
heute zur Verfügung stehenden Erfahrungen möglich ist. Erfahrungen
macht man nicht durch Reden, sondern es sind Lebenserfahrungen, d. h.
es gibt auch schmerzhafte Momente. Wir glauben, daß das sozialistische
Ziel dynamisierend wirken kann, daß es das menschliche Leben
voranbringen wird, daß wir neue Fortschritte auf diesem Weg verzeichnen
werden. Wie wir in Portugal sagen: Der Kampf geht weiter.