Interview: Markus Bernhardt
2011 noch Seit’ an Seit’, 2013 im Abseits: Die Jugendorganisation »Die Falken« bei der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung
Foto: Björn Kietzmann
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Susann Witt-Stahl ist Journalistin. Sie hat diverse ideologiekritische
Aufsätze über regressive Tendenzen des Antifaschismus, zur Propaganda
für neue imperialistische Kriege, zum Islamhaß und zur
Instrumentalisierung der Antisemitismuskritik veröffentlicht (siehe auch
jW vom 23. und 24. Oktober 2012)
Im Januar
wollen Teile der Linksjugend, der Jusos und der DGB-Jugend in Berlin
erstmalig eine eigene Demonstration im Gedenken an Karl Liebknecht und
Rosa Luxemburg durchführen. Besagte Gruppen stellen sich selbst als
»emanzipatorisch« dar. Wofür steht das politische Spektrum, das sich
selbst als Alternative zur traditionellen
Liebknecht-Luxemburg-Demonstration darzustellen versucht?
In den vergangenen Wochen sind, u.a. in der jW wie auch von der
Linksjugend Hamburg, richtige Analysen über das Wesen und die wahren
Beweggründe dieser »Alternative« veröffentlicht worden: Ja, sie ist ein
Bündnis von Sozialdemokraten – nicht wenige Neokonservative sind auch
dabei –, für die es wieder einmal historisch notwendig ist, sich
eindeutig von der antiimperialistischen Bewegung zu distanzieren und sie
von außen, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes »demonstrativ«,
anzugreifen. Man muß einfach nur lesen, worum es treibenden Kräften
dieser »Alternative«, wie den Berliner Jusos, geht. Sie haben ihre
Positionen ausformuliert: Sanktionen und ein militärischer Erstschlag
gegen den Iran gehören ebenso dazu wie die Verhinderung von
Friedensverhandlungen Israels mit der Hamas. Und wie könnte sich so eine
bellizistische »Alternative« besser camouflieren als mit dem Label
»emanzipatorisch«? Das ist heute einer der strapaziertesten Begriffe des
neo (links)liberalen Neusprech für die ideologische Legitimierung von
Kriegseinsätzen und der Anwendung des Feindstrafrechts gegen
Menschengruppen, die den vom Marktradikalismus angetriebenen
Expansionsbestrebungen des Westens im Wege sind. Die NATO bombt für die
»Frauenemanzipation«, und ihre Propagandisten verbreiten ganz
»emanzipatorisch« ihre kulturrassistische Hetze gegen die
»unzivilisierten« Muslime. Der Emanzipationsbegriff ist mittlerweile
völlig ausgehöhlt und entleert. Er hat kaum mehr Aussagekraft und
Integrität als die Aufschrift »jetzt noch cremiger« auf einem
Joghurtbecher. Das heißt nicht, daß Linke ihn nicht mehr im Munde führen
sollen – im Gegenteil, es gilt, ihn gegen die neoliberalen Ideologen zu
verteidigen bzw. zurückerobern. Aber man sollte sehr genau hinschauen,
wer ihn in welchen Kontext benutzt, inflationiert und ad absurdum führt.
Karl Liebknecht hatte 1907 die historisch-spezifische Erscheinungsform
dieses ethischen Imperialismus seiner Zeit, der heute mit dem
Emanzipationsbegriff promotet wird, als »Kolonialpolitik« entlarvt, »die
unter der Vorspiegelung, Christentum und Zivilisation zu verbreiten
oder die nationale Ehre zu wahren, zum Profit der kapitalistischen
Kolonialinteressen mit frommem Augenaufschlag wuchert und betrügt«. Mit
genau diesem »frommen Augenaufschlag« werden Sozialdemokraten am 13.
Januar die im Auftrag der Sozialdemokratie ermordeten Antiimperialisten
Liebknecht und Luxemburg instrumentalisieren.
Seit mehreren
Jahren schon ist in Organisationen, die sich selbst zur politischen
Linken zählen, eine Aufweichung von Antikriegspositionen und
antikapitalistischer Politik zu beobachten. Die »Hipster-Antifa
Neukölln« vergleicht mittlerweile die Verdrängung von sozial
Deklassierten und Migranten aus ihrem Berliner Stadtteil mit der
Befreiung Deutschlands vom Faschismus.
Eine Antifa, die als Robin Hood der Besserverdienenden in den Armutsquartieren Streife läuft …
Die autonome Antifabewegung ist zu einem Sammelsurium wildester Positionen geworden. Wie konnte es dazu kommen?
Die entscheidenden historischen Ausgangspunkte waren der Triumphzug des
Neoliberalismus und der Zusammenbruch des real existierenden
Sozialismus. In den Pamphleten vieler autonomer Antifas, die in den
1990er Jahren begannen, sich den vorläufigen welthistorischen Siegern
sukzessive anzudienen, um 2001 schließlich zu verkünden, es breche ein
neues Antifa-Zeitalter an – entsprechend wurde ihr Zentralorgan Phase 2
genannt –, in deren Pamphleten also kann nachgelesen werden, worum es
ihnen dezidiert ging: Um eine Entsorgung des revolutionären
Antifaschismus samt der traditionellen Kapitalismuskritik und der
Klassenfrage. Das heißt, sie versuchten unterm Strich nichts weniger,
als Marx’ 11. Feuerbachthese, also das Weltveränderungspostulat, von der
Agenda der Linken zu streichen. So hat die Antifa weitgehend aufgehört,
die Theoriearbeit zu machen, die sie nach 1945 ohnehin nur halbherzig
wieder aufgenommen hatte: Ideologiekritik als »unterirdische Sprengmine
gegen die Lügengebäude der offiziellen Wissenschaft« und den
Massenbetrug der Kulturindustrie anzuwenden, wie Max Horkheimer es Ende
der 1920er Jahre gefordert hatte, als er noch glühender Marxist war.
Sie nehmen am 12. Januar am Abschlußpodium der von junge Welt veranstalteten
Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz teil. Dort soll über
Schlußfolgerungen für die Linke aus den bekanntgewordenen Verstrickungen
von Polizei und Geheimdiensten und dem neofaschistischen Terrornetzwerk
»Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) diskutiert werden. Hat es
außer der sattsam bekannten Forderung nach einem NPD-Verbot bisher
Konsequenzen gegeben?
Keine nennenswerten. Es ist
natürlich wichtig, genaue Kenntnisse über das Ausmaß und die Struktur
der Komplizenschaft von Angehörigen des Inlandgeheimdienstes und anderer
staatlicher Behörden mit den Faschisten zu erlangen und zu wissen,
inwieweit Mitglieder der politischen Klasse involviert sind oder
zumindest vor dem Treiben der Mörder ihre Augen verschlossen haben.
Beides wäre notwendig, um angemessene Strategien entwickeln zu können.
So ein Projekt braucht freilich Zeit. Aber sicher wird es nicht
gelingen, solange Nazigegner auf genau den Staatsapparat bauen, in
dessen Obhut das braune Netz gesponnen werden konnte. Und es wird auch
nicht gelingen, eine zeitgemäße antifaschistische Bewegung aufzubauen,
solange die Linke mit schreckensgeweiteten Augen ausschließlich auf den
völkischen Nationalismus der Nazis starrt und den im Neoliberalismus
vorwaltenden Faschismus des totalen Marktes ignoriert oder verharmlost.
Das hört sich an, als würden Sie keinerlei Hoffnung in das stecken, was sich selbst als »radikale Linke« bezeichnet?
Alles schlechte gesellschaftlich Gewordene kann gesellschaftlich
überwunden werden. Es sind Gegenbewegungen zu den von mir im Groben
beschriebenen Erosionen der kritischen Theorie und Praxis der Linken zu
beobachten. Die opferreichen Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die
Folterlager, die ausgerechnet von denen eingerichtet wurden, die sich
als »Verteidiger der Zivilisation« aufspielen, die drakonischen
Sozialkürzungen und der beängstigende Abbau von Grund- und Bürgerrechten
in der westlichen Welt – diese brutale Realität kann mittlerweile auch
der dichteste Ideologienebel nicht mehr verhüllen. Viele Menschen
schöpfen aus der Negativität ihrer Lebenswirklichkeit genau die Energie,
die sie brauchen, um die Atomisierung, die ihnen der Neoliberalismus
auferlegt hat, zu überwinden, sich zusammenzuschließen und Widerstand zu
leisten. Ob durch den Franco-Faschismus kampferprobte Linke in Spanien,
die mittlerweile Rentner sind und statt in Altersheimen vor sich
hinzuschimmeln lieber Banken besetzen, oder junge Antiimperialisten in
Großbritannien oder Deutschland, die wieder den Klassenkampf aufnehmen
und sich auf der Straße rechten und neokonservativen Islamhassern in den
Weg stellen. Das ist noch lange nicht die Wende. Aber vielleicht ist es
der erste Anflug von »Dämmerung«, um es mit Horkheimer zu sagen, die
nun von fortschrittlichen Kräften »zum Anbruch eines Tages gemacht«
werden muß, bevor die Reaktionäre sie – einmal wieder – zum Anbruch
einer dunklen Nacht machen.
Susann Witt-Stahl nimmt auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar
in Berlin am Podiumsgespräch »Der Feind steht links« teil.